Die Harburg Innenstadt ist von solch empörender Hässlichkeit, dass man sich einen mittelalterlichen Poeten wünscht, der sie in länglichen Elogen kunstvoll zerlegt. Eine graue Betonschlucht, zerrissen zwischen Einkaufpassagen aus vier Jahrzehnten zieht sich vom Bahnhof Richtung Stadtpark. Man würde gerne nach verborgenen Schätzen suchen, aber eine Innenstadt an deren Eingang irgendein Sadist gigantische Betonmuttern als „Kunst“ aufgestellt hat, sieht nach wenig aus und vor allem nicht nach verborgenen Schätzen.
Erstaunlicherweise findet man aber kaum die typischen Kettenläden der globalen Einkaufsstraßenarmada, die die Innenstädte dieser Welt wie austauschbare Bühnenhintergründe für die immergleichen Hochglanzprospekte der genormten Warenwelt wirken lassen. Das liegt aber leider nicht etwa daran, dass in der Harburger Innenstadt statt dessen kleine, geschmackvolle Läden wären (wie z.B. im Karoviertel) oder wenigstens irgendwas Verrücktes die Leere füllte. Die Ladenzeilen sind statt dessen längst von billigen Klamottenläden übernommen worden, die den Harburger Chic feiern, der von Mümmelmannsberg bis Billstedt die Problemviertel im Zeichen von looks-like-Karadashian in billig dominiert. Neonlicht glitzert auf billigen Strassapplikationen und enge Tarnfleckleggings versuchen sich erfolglos im Schaufenster des Großstadtdschungels zu verstecken. Immerhin ist die Innenstadt so wieder halbwegs belebt neben den genormten Einkaufswelten des Phönix-Centers, die als seelenloses Quasi-Centrum Harburgs fungieren.
Man hört immer der Süden Hamburgs ist im Kommen aber bis Harburg aus der Asche der jahrzehntelangen Planungszerstörungen steigt ist es wohl eher ein Marathon als ein Sprint. Aber immerhin einer in schicken Sneakern. Für günstige 19,99 €.
So wandert man ordentlich desillusioniert vom Bahnhof Richtung Stadtpark und stolpert prompt über die erste Überraschung. An der Ecke Krummholzberg / Bremer Straße schwebt ein vor Kraft strotzender Weltkriegsheld zwischen den Birken. Den hat man einfach mal stehen gelassen und ihm recht subversiv eine Bronze zu Füßen gestellt in der ein kleiner Junge zwischen den Stahlhelmen der Gefallenen um seinen Vater trauert. Das ist so elegant und eindrucksvoll gelöst, dass man sich kurz fragt warum an all den anderen Heldendenkmälern dieser Welt so etwas noch nicht steht. Siegessäule, Bismarkdenkmal, Arc-de-Triomphe – Kommentarplastiken der Vergessenen jetzt! Passenderweise ist dieses Kommentarplastik am Eingang zum alten Friedhof aufgebaut, den man links neben der Kirche über einen Pfad betreten kann.
Und dieser alte Friedhof ist dann die erst große Harburger Überraschung. Es sagen ja immer alle: „Fahr zum Ohlsdorfer Friedhof“, „Der ist schön der Ohlsdorfer Friedhof!“ Mir hat sich das nie so richtig erschlossen. Ich war mehrfach da und fand es eigentlich eher deprimierend. Auch wenn er schöne Ecken hat der Ohlsdorfer Friedhof: Besonders im Herbst wirkt er eher wie ein halbentwässertes Feuchtgebiet mit phantasielos verteilten Grabsteinen drin. Komischerweise sagt keiner: „Fahr zum alten Friedhof Harburg“, „Der ist schöne der alte Friedhof Harburg!“ Dabei würde DAS stimmen. Verwunschen schmiegen sich alte verlassene Gräber in ein von alten Bäume bestandenes Gelände, in dem man auf kleinen Treppchen und Pfaden langsam aufsteigt als würde man sich in irgendeiner schönen altstadtbeschenkten Metropole des südlichen Deutschlands befinden. (Nun hat auch Harburg eine Altstadt, aber die gewinnt eher den Preis für das niedlichste Stück Altstadt Deutschlands).
Man führt sich kurz von dem Blick einer halb gesichtlosen Grabnymphe verfolgt und stolpert schnell weiter auf eine große Allee, die einen weiter Richtung Stadtpark Harburg führt. Und da erwartet einen dann die zweite Harburger Überraschung. Klar, die Hamburger sind stolz auf ihren Stadtpark und der hat auch seine Momente obwohl er in Sachen Geländedynamik nicht viel hergibt aber der Harburger Stadtpark gewinnt durch K.O. In der dritten Runde. Statt des reichlich gammelig wirkenden Stadtparksees, mit dem Freibad in das ich mich noch nie getraut habe, schafft der deutlich größere Außenmühlenteich eine fast schwedische Atmosphäre. Das liegt nicht zuletzt an dem Saunahäuschen des Mittsommerlandes (das übrigens die mit RIESENABSTAND schönste Saunalandschafts Hamburgs beherbergt) das malerisch am jenseitigen Ufer gelegen auf Fotos wartet.
Nun wäre ein Stadtpark kein Stadtpark ohne irgendwie überformte Landschaft. Und auch wenn hier der Hamburger Stadtpark weit vorne liegt kann sein Harburger Gegenüber mit entspannter Reliefenergie punkten und legt stadtseitig ganz nebenbei noch wirklich schöne, parkige Sichtachsen und Gärten auf die Richtwaage. Dazu kommen ein grünes Amphitheater, ein kleines Schilfmeer mit Holzsteg wenn man langsam am Westufer weiterwandert und eine kleine Teichlandschaft im Süden, die das merkwürdige Schwedengefühl noch vertiefen würde – wenn einen nicht augenblicklich eine Hundertschaft Raubenten auf der Suche nach aufgeweichtem Brot anfallen würde. Man fühlt sich auf dem kompletten circa 3km langen Weg um den See zwischen alten Bäumen und alten Steinen ganz wunderbar andersortig und keinen Hauch nach Harburg. Es kann daher nur empfohlen werden.
Harburger Stadtpark hamburgisch erlebt
Ich würde jetzt eigentlich sagen wollen „Macht einen Bogen um die Harburger Innenstadt“, aber es ist lehrreich und baut so einen schönen Kontrast auf. Es ist ein bisschen wie die traurige Stulle für unterwegs, die mit ordentlich Hunger plötzlich zu einem Käsebrot für Gourmets konvertiert. Daher brav mit der U-Bahn nach Harburg fahren und unterwegs schon mal den Digger-Slang zwischen türkischen und arabischen Unterhaltungen auschecken. Dann ab durch die Einkaufsstraße bis zu dem besagten Denkmal Ecke Krummholzberg / Bremer Straße und schnell auf den alten Friedhof.
Und siehe da es gibt Schönheit in Harburg! Gemütlich über den Friedhof schlendern während Schulkinder zwischen alten Gräbern aus dem Geäst brechen, weil „ey, kürzest Weg, ne?!“ und Grasdämpfe über das Gelände wabern. Ich traf übrigens dort und auch um den Stadtpark nur ausnehmend nette Menschen, die bereitwillig Auskunft gaben. Lasst euch nie von Vorurteilen leiten, vor allem nicht in Harburg – sie werden eh nur enttäuscht.
Wir folgen dem Hauptpfad Richtung Süden, eine sehr harburgige Betonbrücke trägt uns über die A 253 in den Stadtpark. Dort checken wir bei Parkbedarf kurz die Anlagen im Westen aus und folgen dann einem der Pfade zum Seeufer. Vorher überzeugen wir uns noch bei folgender Unterhaltung, dass wir noch in Harburg sind: „Ey Diggi, hör auf zu pfeifen, sonst kommen noch mehr von den Biestern! – Hä was denn, ich darf doch wohl pfeifen, mann?! – Ey Diggi, komm mal klar, hier piept doch schon alles, das nervt, Diggi und wenn du pfeifst kommen da noch mehr, wie soll man da noch chillen, klar?! – Mir doch latte, ich pfeif wann ich will, Alter!! – Ey Diggi, du solltest echt mit dem Shit aufhören mann, sonst wirst du noch selber Vogel, mann! – Alter, du rauchst zu viel, jetzt komm mal runter…- Nee DU kommst runter Diggi, das ist ja unterträglich das Gepiepe!!!
Und dann heißt es einfach durchatmen, Blick schweifen lassen und genießen. Du bist in Schweden, endlose Wälder, klare Seen und weite Natur, das Schilf raschelt sanft im Wind und am Ende der Wanderung wartet eine Blockhaussauna….hey wie praktisch, da steht doch eine Blockhaussauna auf einem Bootssteg! Da wir heute Spendierhosen anhaben, gönnen wir uns mal richtig und kaufen schnell ein Tagesticket für das Midsommerland. Das Bad kann man sich getrost schenken außer man planscht gerne zwischen den gefühlt tausenden schreienden Bälgern der Umgebung während halbstarke Angeber ihre Muskeln am Beckenrand spazieren führen. Also schnell ab in die Saunalandschaft und in der Blockhütte am Ufer braten bis man gar ist und draußen nackt und dampfend den Blick über die kleine Schwedenlandschaft mit dem kleinen, störenden Betongebäude im Hintergrund genießen kann.
Die Saunalandschaft kann übrigens am Wochenende recht voll sein. Hamburg weiß, dass die schön ist. Unter der Woche ist es meist besser. Irgendwann dann grundentspannt und in dieser gemütlichen Post-Sauna-Trance zurück Richtung Harburger Bahnhof. Wer noch nichts zum Kochen für zu Hause braucht, der hat in Harburg tatsächlich Glück. Und da wären wir bei den verborgenen Schätzen, die sich auf den zweiten Blick plötzlich doch offenbaren. Während die billigen Discounter der Umgebung allen Tante-Emma-Läden der Innenstadt den Garaus machen haben sich passend zu der stark gemischten Bevölkerung von Harburg diverse Lebensmittelläden mit Spezialitäten aus aller Herren Länder angesiedelt. Stellvertretend sei der Adese-Markt genannt der Spezialitäten von Anatolien bis Sibirien anbietet. Manches davon ist mit gutem Grund kaum in deutschen Feinkostläden anzutreffen, aber vieles ist eine wirklich gute Ergänzung und in den Läden in Harburg günstiger zu kriegen als anderswo.
Gewarnt sei aber vor den verführerisch glänzenden türkischen Süßigkeiten, die hinterlistig am Ausgang platziert sind. Sie sind nicht besser und vor allem nicht günstiger als in anderen türkischen Läden irgendwo in Hamburg aber genauso schrecklich süß und klebend und als letzte und prägende Erinnerung an einen schönen Orient-meets-Schwedentag in Harburg denkbar unverdient. Auch die Dönerbudenhundertschaft Harburgs ist reichlich phantasielos und scheint sogar das Angebot zwischen Pizzadönerasiatisch voneinander abzuschreiben. Wer trotzdem nicht selber kochen will: Die wie ich finde besseren Läden um lecker türkisch zu essen befinden sich in der Nähe vom Hauptbahnhof Hamburg auf dem Steindamm. Mit ordentlichen Grillspießen und so.